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Schlaglicht: Vorlesen und Bilderbücher – das wunderbare Effektpaket

Vorlesen und Bilderbücher – das wunderbare Effektpaket

Der vorletzte Freitag im November steht in Deutschland ganz im Zeichen der Geschichten. Seit nun schon 21 Jahren findet an diesem Tag der Bundesweite Vorlesetag statt. In diesem Jahr durften Gesandte unseres Fachbereichs Frühe Bildung, Betreuung und Erziehung Teil von vergnüglichen Vorlesemomenten sein. Als Vorleserinnen waren wir in zwei Kitas aus der Mitgliedschaft zu Gast.

Kita-Plus Fachberaterin Lilian Power bezauberte das Publikum mit „Nick und der Sommer mit Oma“ von Benji Davies, erschienen im Thienemann Verlag. Die Kinder der Kita Boberg der Ballin Stiftung lauschten nicht nur der Geschichte, sondern brachten auch selbst die unterschiedlichsten Fragen und Gedanken ein. Im Anschluss waren Kinder und pädagogische Fachkräfte inspiriert und stürzten sich sogleich in die Recherche, um mehr über Meeresbewohner*innen herauszufinden.

In der Kita Brummkreisel des Trägers Kinderwelt Hamburg gGmbH bemühte sich unsere Fachberaterin Lena Spiekermann hingegen, ein tierisches Problem zu lösen. Der Verlag Jacoby & Stuart stellte dankenswerterweise ein Bilderbuchkino zu Alex Latimers „Die Ente blinzelt nicht“ zur Verfügung. Im Bewegungsraum der Kita zeigten alle vollen Einsatz. Gemeinsam rief man laut Lieblingswörter, erzählte Witze und probierte Kniffe, um eine willensstarke Ente zum Blinzeln zu bewegen, und erkannte schließlich, dass Enten tatsächlich blinzeln – aber nur für Kinder und auch nur dann, wenn Erwachsene nicht hinschauen.

Der Bundesweite Vorlesetag beweist, dass trotz der digitalen Revolution die Wirkung von Bilderbüchern auf Kinder längst nicht verflogen ist. Seit dem Ende der Corona-Pandemie werden am Aktionstag über eine Million erfolgreiche Aktionen gemeldet. In vielen Bildungseinrichtungen, Bibliotheken, Verlagen und Buchhandlungen hat sich der Vorlesetag als wiederkehrendes Event längst etabliert. Für die Bildungskarriere der Kinder ist das ein absoluter Glücksfall; Bilderbücher gepaart mit Vorlesen unterstützen die Sprachentwicklung, die Fähigkeit der Decodierung von Schrift und Symbole in ihre Bedeutung und fördern Verstehensstrategien, mit denen später z.B. Textaufgaben in der Mathematik gelöst werden. Durch bebilderte Geschichten lernen Kinder empathisch zu sein, verstehen den Umgang mit Gefühlen und wie man sich im sozialen Miteinander verhält.  

Obwohl die positiven Effekte von früher Lesesozialisation so eindeutig erscheinen, ist das Vorlesen und der Kontakt zu altersgerechter Kinder- und Jugendliteratur nicht für alle Kinder eine Selbstverständlichkeit. Seit 2008 etwa untersuchen die Stiftung Lesen, DIE ZEIT und die Deutsche Bahn Stiftung im Rahmen des Vorlesemonitors, ehemals Vorlesestudie, welche Rolle Vorlesen in Familien spielt. Ca. 800 Familien werden dabei zu ihrer Vorlesepraxis befragt. Aus den Ergebnissen der letzten 17 Jahre lassen sich zentrale Erkenntnisse ermitteln, die direkten Einfluss auf die Lesekompetenzen der Kinder haben;

  • Eltern wissen häufig um die Bedeutung des frühen und regelmäßigen Vorlesens, aber weniger als die Hälfte der befragten Familien hat dafür wiederkehrende Strukturen im gemeinsamen Alltag eingebaut. Die Umsetzung widerspricht der Haltung.
  • Die soziale Herkunft bestimmt häufig, ob Eltern zeitliche und finanzielle Ressourcen aufwenden können, um ihren Kindern passende Literatur anbieten können. Insbesondere der Zugang zu Bilderbüchern in der Familiensprache ist eine Herausforderung.
  • Stress, Belastung und das Bedürfnis „ein paar Minuten für mich“ zu haben, macht den Einsatz von digitalen Medien für viele Eltern attraktiv, ohne dass dabei ein Ausgleich mit gemeinsamer, analoger Vorlesezeit geschaffen wird.
  • Viele Eltern geben an, dass sie sich selbst nicht als gute Vorleser*innen sehen und solche Aktivitäten daher eher vermeiden. Damit geht auch einher, dass es Kindern an Vorbildern für Lesemotivation und Freizeitleseverhalten fehlt.

Die Familie spielt eine zentrale Bedeutung bei der Frage, ob ein Kind zu einem/r Leser*in wird. Wie die Ergebnisse des Vorlesemonitors allerdings zeigen, können und müssen Kräfte von außen das System Familie dabei unterstützen.

In Hamburg gibt es bereits einige bewährte Strukturen, durch die Familien möglichst früh an das Thema Vorlesen und Lesesozialisation herangeführt werden. Die Bücherhallen Hamburg bieten beispielweise einen umfassenden Katalog an mehrsprachigen Kinder- und Bilderbüchern an. In Kooperation mit Lesewelt Hamburg e.V. und Seiteneinsteiger e.V. finden in den verschiedenen Standorten Vorlesezeiten, Lesecoachings, Geschichtenrallyes und vielerlei mehr aktivierende Veranstaltungen statt, an denen man meist kostenfrei teilnehmen kann.
Eine Hamburger Besonderheit ist die Vergabe eines Gutscheines für einen einjährig kostenfreien Bibliotheksausweis, den alle Kinder erhalten, die am Vorstellungsverfahren für Viereinhalbjährige teilgenommen haben. Der Gutschein wird meist als Lesezeichen im Hamburger Geschichtenbuch überreicht und soll auf vorlesereiche Familienzeit einstimmen.

Als Hamburger Dachverband setzen auch wir uns für kindorientierte Sprach- und Leseförderung ein. Mit unserem Vielfalts-Projekt „BÜCHerLEBEN Haus“ für Kitas unterstützen wir unsere Mitgliedseinrichtungen seit mehreren Jahren mit einer mobilen außergewöhnlichen Lesewelt und eine Auswahl von Kinder- und Jugendliteratur, die unserem Motto „Offenheit. Vielfalt. Toleranz“ entspricht. Ein Schwesterprojekt mit dem Fokus Ganztag ist für das Jahr 2026 bereits geplant. Mit unserer Teilnahme am diesjährigen Bundesweiten Vorlesetag setzen wir uns einmal mehr dafür ein, allen Hamburger Kindern ein chancengerechtes Aufwachsen zu ermöglichen.