Das Bundesministerium für Gesundheit hat die Verbändebeteiligung für den "Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit“ eingeleitet. Kernstück des Gesetzesvorhabens soll ein bis Januar 2025 zu errichtendes „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“ – kurz BIPAM – sein, das als selbständige Bundesoberbehörde die Rechtsnachfolge der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) antreten und Teile des Robert Koch-Instituts (RKI) im Bereich der nicht-übertragbaren Krankheiten übernehmen soll. Die innerhalb der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossenen Verbände haben zum Entwurf Stellung genommen.
Die epidemiologischen Erkenntnisse in Deutschland zeigen, dass die Bevölkerung im Durchschnitt zwar immer länger und gesünder lebt, diese Entwicklung jedoch nicht allen Menschen gleichermaßen zugutekommt. Sozioökonomisch benachteiligte und gesellschaftlich marginalisierte Menschen sterben im Durchschnitt deutlich früher und sind während ihres Lebens häufiger und insgesamt länger krank. Dabei zeigen sich insbesondere bei nicht-übertragbaren, chronisch-degenerativen Erkrankungen (wie z.B. Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen, Diabetes, Erkrankungen des Bewegungsapparates) sowie bei psychischen Erkrankungen (wie z.B. Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen) deutliche soziale Unterschiede. Die dahinterstehenden Risikofaktoren wirken meist indikationsübergreifend und manifestieren sich i.d.R. bereits im Kindes- und Jugendalter (wie z.B. Bewegungsmangel, ungesunde und unausgewogene Ernährung, psychischer Stress, starker Medienkonsum, Sucht oder Barrieren im Zugang zu Bildung, Freizeit und Kultur).
Gleichzeitig orientieren sich Präventionsangebote nach wie vor stark am Gesundheitsverhalten Einzelner ohne Inbezugnahme von Kontextfaktoren und erreichen damit überwiegend Personengruppen, die insgesamt ein eher moderates gesundheitliches Risikoprofil aufweisen. Insofern müssen in Deutschland dringend die institutionellen Voraussetzungen für eine zusammenhängende und flächendeckende Infrastruktur zur Prävention und Gesundheitsförderung geschaffen werden. Hierfür bedarf es aufeinander abgestimmte Institutionen mit klar definierten Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kooperationen.
Das im Koalitionsvertrag avisierte “Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit”, in dem die BZgA aufgehen soll, soll in diesem Prozess eine Schlüsselfunktion einnehmen und die „Aktivitäten im Public-Health Bereich, die Vernetzung des ÖGD und die Gesundheitskommunikation des Bundes“ bündeln. Damit wurde der hohe Bedarf insbesondere in den Bereichen (1) Prävention und Gesundheitsförderung sowie Gesundheitskompetenz zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen, (2) zielgruppenspezifische Risikokommunikation und (3) Vernetzung der Aktivitäten der Public Health-Community grundsätzlich anerkannt und – wie es schien – aufgegriffen.
Umso enttäuschter fielen bereits die ersten Rückmeldungen aus der Fachwelt aus, als ein noch nicht abgestimmter Arbeitsentwurf im Herbst letzten Jahres an die Öffentlichkeit gelangte und damit u.a. auch die namentliche Einengung des Instituts auf Präventivmedizin bekannt wurde. Im nun vorliegenden und in Teilen überarbeiteten Referentenentwurf bleiben wesentliche Kritikpunkte nach wie vor unberücksichtigt, die meisten davon sind von grundsätzlicher, inhaltlich-strategischer Natur.
Die innerhalb der BAGFW zusammengeschlossenen Verbände haben eine Stellungnahme zum Referentenentwurf eingereicht und darin die nachfolgenden Schwerpunkte gesetzt:
- Blickrichtung des Instituts: Der Name des avisierten Bundesinstituts („Prävention und Aufklärung in der Medizin“) ist aus der Zeit gefallen und zementiert ein veraltetes (Selbst-)Verständnis von Öffentlicher Gesundheit. Prävention beruht zwar auch auf medizinischem Fachwissen, lebt aber letztendlich, und das untermauern alle verfügbaren Erkenntnisse aus der Sozialepidemiologie und Interventionsforschung, v.a. in der Umsetzung von sozialwissenschaftlichen Konzepten insbesondere der nicht-medizinischen, auf Gesundheitsförderung fokussierten Lebensweltprävention. Dies auch deshalb, da gesundheitliche Risiken oftmals nicht im unmittelbaren Einflussbereich der medizinischen Versorgung liegen, sondern vielmehr in den Umwelt-, Lebens- und Arbeitsbedingungen und den damit wechselseitig in Beziehung stehenden Handlungsräumen und Lebensstilen von Menschen.
- Strategisch-inhaltliche Schwerpunkte des Instituts: Der augenscheinliche Fokus auf einzelne Krankheiten sollte in der Arbeit des Bundesinstituts dringend vermieden werden. Prävention und Gesundheitsförderung wirken i.S.d. Ressourcenstärkung grundsätzlich krankheitsunspezifisch. Sinnvoller wären daher Schwerpunkte auf besonders belastete und belastende Lebenswelten und vulnerable Gruppen. Diese Perspektive lässt der vorliegende Entwurf nahezu gänzlich vermissen.
- Kompetenzaufteilung RKI/ BIPAM: Der Mehrwert der avisierten Aufteilung der Public Health-Kompetenzen auf zwei Institute (RKI überwiegend für Infektionskrankheiten, BIPAM für nicht-übertragbare Krankheiten) ist nicht nur international ohne Vorbild, sondern auch fachlich nicht zu begründen und provoziert Doppelstrukturen und Reibungsverluste. Zudem überschneiden sich die Entstehungsbedingungen übertragbarer und nicht-übertragbarer Erkrankungen maßgeblich und der soziale Gradient in Morbidität und Mortalität zeigt sich sowohl bei übertragbaren als auch bei nicht-übertragbaren Erkrankungen. Insofern sollte man die in Deutschland bewährte Arbeitsteilung zwischen Ursachenforschung und Sozialepidemiologie (RKI) einerseits und Interventions- und Anwendungsforschung sowie Gesundheitskommunikation und Aufklärung (bislang BZgA, weiterzuführen und auszubauen im künftigen Bundesinstitut) andererseits aus Sicht der BAGFW dringend beibehalten.
- Gesundheitsberichterstattung (GBE): Mitunter soll z.B. auch die GBE vom RKI an das neue Institut übergehen. Wissenschaftliche Datenerhebung und Gesundheitsberichterstattung gehen einher mit politisch unabhängiger Public Health-Forschung. Diese Aufgaben werden bereits seit Jahrzehnten und auf höchstem Niveau durch das RKI wahrgenommen. Die nun vorgesehene Kompetenzverlagerung im Bereich des Monitorings und Reportings vom RKI an das avisierte Bundesinstitut entzieht der GBE jegliche fachliche Basis. Insofern muss die GBE aus Sicht der BAGFW unbedingt auch künftig beim RKI angesiedelt bleiben.
Aus Sicht der innerhalb der BAGFW zusammengeschlossenen Verbände besteht insofern dringender Anpassungsbedarf noch vor der Kabinettsbefassung, die nach derzeitigem Stand am 17. Juli 2024 erfolgen soll.
Die vollständige Stellungnahme sowie der Referentenentwurf sind der Fachinformation als Anlagen beigefügt.