Der Paritätische Gesamtverband begrüßt die Planungen der Bundesregierung und der EU, das Wahlalter auf 16 Jahre absenken zu wollen. Aus Sicht des Paritätischen sollte die Absenkung des aktiven Wahlalters allerdings auf 14 Jahre erfolgen.
Die Diskussion über das Wahlalter ab 16 Jahren begleitet die politische Debatte in Deutschland seit vielen Jahren. Im aktuellen Koalitionsvertrag bekennen sich SPD, Grüne und die FDP nun zu dem Ziel, die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre sowohl für den Bundestag als auch das Europäische Parlament festzulegen. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir werden das aktive Wahlalter für die Wahlen zum Europäischen Parlament auf 16 Jahre senken. Wir wollen das Grundgesetz ändern, um das aktive Wahlalter für die Wahl zum Deutschen Bundestag auf 16 Jahre zu senken.“ (Koalitionsvertrag 2021, S.12) Auf EU-Ebene ist eine umfassende Wahlrechtsreform angedacht. Der Bundestag hat aktuell am 11.11.2022 der Absenkung des Wahlalters auf EU-Ebene auf 16 Jahre zugestimmt. Dagegen ist für die Änderung des Wahlalters in Deutschland eine Grundgesetzänderung im Rahmen der Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages notwendig.
Ein abgesenktes Wahlalter auf 16 bzw.17 Jahre findet sich in Deutschland in 11 Bundesländern schon auf kommunaler Ebene wieder, in 4 Bundesländern auch in Bezug auf die Landtagswahlen. Damit hat diese Möglichkeit der aktiven Wahlbeteiligung Minderjähriger schon länger Eingang in die politische Praxis in Deutschland gefunden, ist erprobt und wird an diesen Stellen nicht mehr in Frage gestellt.
Das Festhalten an der Verbindung zwischen Wahlbeteiligung und Volljährigkeit, also der Wahlmöglichkeit erst ab dem 18. Lebensjahr, wird häufig mit der Kopplung zwischen Rechten und Pflichten begründet: da wo Rechte verliehen, müssten auch Pflichten übernommen werden. Die aktuelle Lage junger Menschen ist jedoch, dass Politik verstärkt durch junge Menschen auf Handlungsnotwendigkeit und Einhaltung von Rechten und Pflichten hingewiesen wird (so beispielsweise auf die Anliegen eines ökologischen Wandels oder die Anliegen von Kindern und Jugendlichen unter Pandemiebedingungen), ohne dass dies auf ausreichende Beachtung stößt oder gar verbindlich Eingang in politische Entscheidungen findet. Daher braucht es dringend eine Umkehrung dieser Argumentation: junge Menschen müssen mehr Einfluss auf die Einhaltung und Umsetzung ihrer Rechte bekommen. Dies zeigt sich im Kontext der politischen Entscheidungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie deutlicher denn je, indem Rechte von Kindern und Jugendlichen regelmäßig beschnitten wurden, ohne das junge Menschen dies mitgestalten bzw. mitentscheiden konnten.
Die aktuellsten Jugendstudien zeigen, dass junge Menschen sich zu wenig gehört fühlen und mehr Mitbestimmung fordern. Dies betrifft viele Formen der Jugendbeteiligung. Formal werden Kinder und Jugendliche in Prozesse einbezogen und angehört. Echte Mitbestimmung bleibt häufig aus. Gleichzeitig bekommen die Stimmen älterer Menschen auf Grund der demografischen Entwicklung im Rahmen politischer Entscheidungsprozesse immer mehr Gewicht. Das Interesse älterer Menschen richtet sich nach aktueller Erkenntnislage aber vor allem auf die sie betreffende Lebenswelt. In Bezug auf Zukunftsthemen junger Menschen wird bei gleichzeitig steigender politischer Handlungsnotwendigkeit z.B. hinsichtlich der Themen Umwelt, Digitalisierung, soziale Ungleichheit oder Bildung die Jugendperspektive selten berücksichtigt. Die vielfältigen politischen und partizipativen Aktivitäten junger Menschen zeigen auch, dass das Potential und die Befähigung, sich mit politischen Themen zu befassen und sich auch entsprechend zu positionieren, gegeben ist. Dies widerspricht der Behauptung, in diesem Alter fehle es noch an einer gewissen Befähigung, verantwortungsvoll und im vollen Bewusstsein der Tragweite der eigenen Entscheidungen an einer Wahl teilzunehmen. Grundsätzlich können „Befähigung“ und „Bewusstsein“ nicht als Argument gegen die Absenkung des Wahlalters herhalten, da auch mit Erreichen der Volljährigkeit dies nicht automatisch angenommen werden kann. Eine „Überprüfung“ findet nicht statt. Eher gilt, dass die vielfältigen Zugänge gerade zu den minderjährigen jungen Menschen z.B. über die Schule, Ausbildung oder auch außerschulische Angebote im Rahmen politischer Bildungsprozesse gut genutzt werden können, um aktiv Befähigung und Bewusstsein zu befördern und junge Menschen noch besser auf die Ausübung einer aktiven Wahlbeteiligung vorzubereiten, als dass dies ab 18 Jahren möglich wäre.
Das Recht der Jugendlichen zu wählen, birgt die Chance, sich positiv auf die Politik auszuwirken. Im besten Falle werden Politiker*innen die jungen Menschen als potenzielle Wähler*innen verstärkt ernst nehmen und deshalb die Interessen der Jugendlichen besser vertreten. Immerhin kämen etwa 1,5 Millionen neue Wahlberechtigte im Alter von 16 und 17 Jahren hinzu, bei einer Absenkung des Wahlalters auf 14 Jahre ca. 3 Millionen. Die Anerkennung und rechtliche Verankerung eines Wahlrechts für Jugendliche wäre die Gewährung eines der bedeutendsten politischen Gestaltungsrechte in unserer Demokratie. Die Wahlalterabsenkung ist somit ein klares Signal an junge Menschen, dass nicht nur die an sie gestellten Erwartungen zunehmen, sondern sie in ihren Rechten auch ernstgenommen werden. Partizipation in der Demokratie muss geübt und erfahren werden. Denn nur wer wirklich beteiligt wird, kann sich für Demokratie begeistern und fühlt sich gehört und gesehen. Junge Menschen sollen, angefangen bei ihren sozialen Räumen bis hin zu bundes- und europapolitischen Belangen, Politik aktiv mitbestimmen können.