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10 Jahre Ausweitung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung in Hamburg – ein Meilenstein, dem weitere folgen müssen

Tom Töpfer, Kita-Referent

Entwicklungen der letzten 10 Jahre – zunächst eine Erfolgsgeschichte

Am 01. August 2013 wurde der Rechtsanspruch auf Betreuung für jedes Kind ab dem vollendeten ersten Lebensjahr bis zur Einschulung in Deutschland eingeführt.  In Hamburg wurde damit die fünfstündige Betreuung inklusive Mittagessen verknüpft, die seit 01. August 2014 als beitragsfreie Grundbetreuung gilt.
Im Zuge der Ausweitung des Rechtsanspruchs wurden Betreuungsplätze massiv ausgebaut. Vor allem in Hamburg hat sich in den letzten zehn Jahren eine vielfältige Trägerlandschaft (weiter)entwickelt. Aktuell gibt es in Hamburg mehr als 1150 Kindertageseinrichtungen, die von etwa 550 Trägern betrieben werden.(1)  Unter dem fachlichen Dach der Hamburger Bildungsempfehlungen vereinen sich Träger und Einrichtungen mit unterschiedlichen Profilen und pädagogischen Konzepten:  Bewegungskitas, bilinguale Einrichtungen, Waldkitas, Werkstattkitas, Waldorfeinrichtungen, Kitas mit naturwissenschaftlichen Schwerpunkten, Musikkitas, Kitas mit heilpädagogischen Schwerpunkten und viele mehr   . Diese Pluralität ermöglicht es noch mal mehr, auf die verschiedenen Bedarfe von Kindern und Familien einzugehen.

Zunächst ist die Ausweitung des Rechtsanspruchs auf eine Kinderbetreuung in Kita oder Kindertagespflege eine Erfolgsgeschichte und große Errungenschaft. Deutlich mehr Kindern wurde der Zugang zur Kindertagesbetreuung ermöglicht, gleichzeitig konnten Leistungen und Angebote ausgebaut und der Fachkraft-Kind-Schlüssel verbessert werden. Qualitativ hochwertige Bildung, Betreuung und Erziehung wird damit immer mehr Kindern zuteil. Insgesamt werden in Hamburg mehr als 85.000 Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege betreut. Nach Zahlen des Bundesfamilienministeriums wurden 2022 95,4 Prozent der über 3-jährigen Kinder in Hamburg betreut (bei einem Betreuungsbedarf von 97,6 Prozent) und 49,2 Prozent der Kinder über einem und unter drei Jahren (bei einem Betreuungsbedarf von 57,9 Prozent)(2).  Der Ausbau der Plätze ist demnach gut vorangeschritten – ein echter Meilenstein. Gleichzeitig wird aber auch deutlich: Es reicht noch nicht aus, um alle Bedarfe zu decken.
 

Aktuelle Herausforderungen – Zugang für alle Kinder und Betreuungslücken

Ein Jubiläum ist sicherlich ein freudiger Grund, auf das Erreichte und Geleistete zurückzuschauen. Gleichzeitig ist es Anlass, auf die bestehenden Herausforderungen zu blicken.
Aktuell können noch nicht alle Platzbedarfe – insbesondere im Krippenbereich – gedeckt werden. Eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zeigt zudem, dass nicht alle Kinder gleich vom Rechtsanspruch auf Betreuung profitieren. Demnach sind insbesondere Kinder aus armutsgefährdeten oder bildungsfernen Milieus sowie aus Familien, die wenig Deutsch sprechen, in der Kinderbetreuung unterrepräsentiert. (3) 

Für Hamburg heißt das, dass diese Kinder nicht nur seltener und später Kindertagesbetreuung in Anspruch nehmen, sondern durchschnittlich auch kürzere Betreuungszeiten haben. Um Teilhabe und Chancengerechtigkeit zu verbessern, muss Hamburg noch mehr tun, um die Kinder und Familien zu erreichen, die besonders von Kindertagesbetreuung profitieren würden. Dazu ist einerseits zu überlegen, das Gutscheinsystem zu reformieren, um Familien, die bisher ausschließlich Anspruch auf Fünf-Stunden-Gutscheine haben, umfangreichere Gutscheine zu ermöglichen und die Kosten dafür sozial verträglich zu gestalten.

Darüber hinaus stellt sich die Situation in den Quartieren und Stadtteilen Hamburgs sehr unterschiedlich dar. Während wir in einigen Stadtteilen ein Überangebot an Plätzen haben, gibt es in anderen Stadtteilen lange Wartelisten. Insgesamt muss mehr unternommen werden, um ALLE Kinder und Familien zu erreichen.

Eine weitere Herausforderung beim Ausbau der Plätze ist der Fachkräftemangel. Der avisierte Personalschlüssel kann aufgrund fehlender Fachkräfte nicht mehr überall umgesetzt werden. Im Zuge der Corona-Nachwirkungen als auch einer zunehmend angespannten Personalsituation sehen wir zudem größere Ausfallquoten beim Kitapersonal.(4)  Das heißt insbesondere für das vorhandene Personal in den Einrichtungen – sie arbeiten am Limit. Einige Einrichtungen und Träger haben daher bereits reagiert und Öffnungszeiten eingeschränkt.(5) Dieser Schritt ist aktuell notwendig und erste Auswirkung der Fachkraftlücke. Besonders angespannt ist der Personalbedarf zudem bei Kindern mit heilpädagogischen Bedarfen, der in Hamburg überdurchschnittlich ist. Kinder mit (drohenden) Behinderungen können daher nicht immer nahtlos und umfänglich betreut werden.

Nach vielen Jahren des Aufschwungs zur flächendeckenden Umsetzung des ausgeweiteten Rechtsanspruchs stagniert die Entwicklung aktuell. Belastungen für Fachkräfte nehmen zu, mehr Eltern stehen vor der Herausforderung, einen adäquaten Kitaplatz zu finden und es können immer noch nicht alle Kinder gleichwertig an Kindertagesbetreuung partizipieren. Diese Trends sind besorgniserregend und sollten uns alarmieren. Bei allen Erfolgen, die der Ausbau des Rechtsanspruchs 2013 mit sich gebracht hat, wird deutlich: Es bleibt viel zu tun.


Frühe Bildung zukunftsfest gestalten – unsere Forderungen

Krisen wie die Corona-Pandemie, der Ukrainekrieg und die Inflation sowie der Fachkräftemangel bringen große Herausforderungen für die Frühe Bildung insgesamt mit sich. Hinzu kommen ohnehin zu hohe Armutsquoten. Doch es bleibt klar: Der Rechtsanspruch auf Betreuung gilt für alle Kinder und es braucht größere Anstrengungen, um diesen nachhaltig umzusetzen.

Daher fordert der PARITÄTISCHE Hamburg:

  • Eine verbindliche Strategie, um ALLEN Kindern und Familien Teilhabe an Kindertageseinrichtungen zu ermöglichen, egal welchen Hintergrund sie haben, wo sie wohnen oder welche Sprache sie sprechen
  • Beitragsfreie 6-Stunden-Betreuung für alle Kinder
  • Zielgerichtete Entlastungen für Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen
  • Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Kindertagespflege
  • Politik muss Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung endlich umsetzen: attraktivere Ausbildungen schaffen, Aufstiegsmöglichkeiten ausweiten, Studienplatzkapazitäten erhöhen, Vereinfachung der Regelungen zum Quereinstieg, schnellere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse
  • Ausbau von sozialräumlichen Angeboten und Unterstützungssystemen, insb. zur psychischen Gesundheit von Kindern, Eltern und Fachkräften

 

Fußnoten:
(1) Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe, Heft 1 / 2023. https://www.akjstat.tu-dortmund.de/fileadmin/user_upload/72_KomDat_1_23.pdf
(2) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2023): Kindertagesbetreuung kompakt. Ausbaustand und Bedarf. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Berlin. https://www.bmfsfj.de/resource/blob/228470/dc2219705eeb5b8b9c117ce3f7e7bc05/kindertagesbetreuung-kompakt-ausbaustand-und-bedarf-2022-data.pdf
(3) Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2023): Bevölkerungsforschung aktuell, Heft 2 / 2023. https://www.bib.bund.de/Publikation/2023/pdf/Bevoelkerungsforschung-Aktuell-2-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=2
(4) Als Beispiel kann der Anstieg von Burnout genannt werden, siehe Trauernicht, M., Besser, N. & Anders, Y. (2022). Burnout in der Kita und der Zusammenhang zu Aspekten der Arbeitszufriedenheit. Frühe Bildung, 11(2), 85-93. https://econtent.hogrefe.com/doi/10.1026/2191-9186/a000566
(5) Hamburger Abendblatt: Viele Kitas schränken Betreuung massiv ein – Eltern in Sorge, 19.06.2023. https://www.abendblatt.de/hamburg/hamburg-nord/article238720489/Viele-Kitas-schraenken-Betreuung-massiv-ein-Eltern-in-Sorge.html
 

Tom Töpfer, Kita-Referent